14.07.2020

Mit Blut- zur Datenspende

Erkenntnis- und Lösungspotenziale einer breiten SARS-CoV-2 Antikörpertestung als integraler Bestandteil der Blutspende

Hagen. Bereits Ende März forderte die Deutsche Gesellschaft für Virologie rasche Investitionen in die Entwicklung zuverlässiger Antikörperdiagnostik. Es sei dringend erforderlich, die tatsächliche Durchseuchung der Bevölkerung auf der Basis verlässlicher Antikörpertests zu ermitteln, so die Virologen.

Fast vier Monate später kennen wir die faktische Durchseuchungsrate in unserer Gesellschaft in Deutschland nicht, obwohl mittlerweile gute Antikörpertestverfahren auf SARS-CoV-2 zur Verfügung stehen.

Da die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Immunitätsperspektiven mit Bezug auf die mögliche Impfstoffentwicklung ebenso, wie auf die natürliche Antikörperentwicklung nach einer Infektion in vollem Gange ist, sollte die Datengenerierung in der statistischen Breite und Nachhaltigkeit ebenfalls im Fokus stehen. In Dutzenden nationalen und noch mehr internationalen Studienprojekten werden verschiedenste Aspekte rund um die Antikörper untersucht - nicht zuletzt auch, um seit Monaten in der öffentlichen und fachlichen Diskussionen stehende Themen wie "Herdenimmunität" zu erhellen.

Fakt ist: Es ist in Deutschland bisher strittig, ob und wenn in welcher Breite Antikörpertestungen auf SARS-CoV-2 Sinn ergeben. Die Initiative "Mit Blut- zur Datenspende" des DRK-Blutspendedienst West setzt klar auf die etablierten Blutspendestrukturen und Kompetenzen der professionellen Einrichtungen ebenso, wie der hohen intrinsischen Motivation der vielen Blutspender in Deutschland. Eine deutliche Verbesserung der Datenlage zur Immunitätsperspektive ergibt sich durch die Verbindung von standardmäßiger Blutspende mit dem spezifischen Forschungsanliegen der Datengenerierung des Antikörperstatus in der statistischen Breite und mit der entsprechenden Nachhaltigkeit.

Denn es ist kaum mehr vermittelbar, persönliche Entbehrungen in Kauf zu nehmen für das Gut der eigenen Gesundheit und das der der Mitmenschen, wenn die Maßnahmen zum Schutz der Menschen nicht klar messbar sind.

Die Messbarkeit und das Wissen um die Durchseuchung sind erforderlich dafür, dass die Definition von "Erfolg" bei der Pandemiebewältigung zivilgesellschaftlich breit getragen wird.
Erfolge müssen messbar, sichtbar und verstehbar werden.
Dabei spielt eben die berühmt-berüchtigte "Dunkelziffer" der SARS-CoV-2-Infektionen und eine möglicherweise zur Immunität führende Antikörperreaktion die entscheidende Rolle. 

Einerseits für die Forschung selbst, andererseits für die Argumentation gegenüber der verunsicherten und zusehends pandemiemüden Bevölkerung.
Mittlerweile gibt es eine Reihe von Untersuchungen, stets jedoch auf eng begrenzter regionaler Basis.
In Deutschland greift nur eine einzige durch das Robert-Koch-Institut initiierte Studie auf eine Stichprobe von Blutspendern zurück.

Dabei ist der Gedanke, dieses Erkenntnisinteresse mit Blutspenden zu verknüpfen, so naheliegend, dass er im europäischen Umland (Dänemark. Belgien, Niederlande und Italien) bereits mehrfach aufgegriffen wurde.

Der „Innovationskreis Blutspendewesen“ des DRK-Blutspendedienstes West bündelt seine internen Kompetenzen und Erfahrungen mit dem Ziel der der Förderung von innovativen Weiterentwicklungen des Blutspendewesens und ist eine Plattform für innovative Forschungsinitiativen und Ideen. Die Innovationskreis-Mitglieder PD Dr. med. Thomas Zeiler und Prof. Dr. phil. Stefan Heinemann setzten sich in einer umfangreichen Ausarbeitung mit einer möglichen flächendeckenden Testung von Blutspendern auseinander.

Denn: Die flächendeckende Testung von Blutspendern bietet die einzigartige Möglichkeit einer umfassenden und kontinuierlichen Bestimmung der SARS-CoV-2 Seroprävalenz in Deutschland und das mit einem geringen Aufwand innerhalb bereits bestehender Strukturen.

In Deutschland sind nur sehr wenige Strukturen verfügbar, die in einer solchen Breite und Tiefe Menschen unterschiedlichen Alters und Herkunft erreichen könnten und das mit der notwendigen fachlichen Qualität der Methoden, Services und einer entsprechenden Glaubwürdigkeit.

Um die Dimension aufzuzeigen, in der die SARS-CoV 2-Antikörpertestungen innerhalb der Blutspendetermine des DRK durchführbar wären, sei exemplarisch nur auf die Blutspendetermine des DRK-Blutspendedienstes West verwiesen, welcher für die Versorgung der Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Saarland zuständig ist: Allein in NRW sind für das Jahr 2020 in der Zeit vom 1.6.2020 bis zum 31.12.2020 (2. Halbjahr) noch mehr als 5.000 Blutspendetermine mit erwarteten 361.400 Spenderinnen und Spendern geplant. Würden die Spenden aus Rheinland-Pfalz und dem Saarland ebenfalls eingeschlossen, dann wären es in diesem Zeitraum sogar mehr als 6.460 Blutspendetermine mit über 472.500 Spenderinnen und Spendern.

Nimmt man die gesamtdeutsche Struktur der Blutspendedienste des DRK in den Blick, werden die Zahlen noch beeindruckender! Gemeinsam mit über 200.000 ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Deutschen Roten Kreuzes werden Blutspendetermine in Städten, Schulen, Universitäten, Unternehmen, auf Veranstaltungen oder auch an ganz ungewöhnlichen Orten, wie auf bestimmten Events- oder Mottoterminen, ganzjährig erfolgreich organisiert. Dabei beschäftigen die DRK-Blutspendedienste über 3.800 Entnahmespezialisten in der mobilen Servicestruktur, Transfusionsmediziner, Ärzte, Krankenschwestern, Chemiker, Biologen, Rettungsassistenten, Laborkräfte, Techniker und Verwaltungsfachleute. Sechs regionale Blutspendedienste des DRK übernehmen mit ihren Instituten und Zentren für Transfusionsmedizin die Versorgung der Patientinnen und Patienten. Hier gibt es also die erforderliche Infrastruktur für eine flächendeckende Testung von Blutspendern, die routinemäßig höchsten Wert auf Sicherheit und Datenschutz legt - was auch bei Antikörpertestdaten gewährleistet wäre durch eine Anonymisierung. Zudem darf nicht der Eindruck entstehen mit einem Antikörpertest Ergebnis würde, stand heute, eine entsprechende über eine Forschung hinausgehende gesellschaftliche Funktion verbunden werden können. Diese Verbindung erscheint auch unter ethischen Aspekten kritisch.

Die Autoren

Der Ärztliche Geschäftsführer des DRK-Blutspendedienstes West,
Priv. Doz. Dr. med. Thomas Zeiler 
und  
Prof. Dr. phil. Stefan Heinemann, FOM Hochschule/Universitätsmedizin Essen (Ökonomie, Ethik, Digitalisierung, digitale Medizin), haben sich im wissenschaftlichen Aufsatz „Mit Blut- zur Datenspende: Erkenntnis- und Lösungspotenziale einer breiten SARS-CoV-2 Antikörpertestung als integraler Bestandteil der Blutspende“ mit der beschriebenen Grundproblematik in dieser pandemischen Zeit auseinandergesetzt und schlagen Lösungen vor.

Weitere Informationen und vollständiger Aufsatz
Thomas Zeiler

Warum nicht alle Blutspenderinnen und Blutspender auf SARS-CoV-2 Antikörper turnusmäßig breit testen? Blut wird überall in Deutschland gespendet, jeden Tag und die Blutspenderinnen und Blutspender stellen einen soliden Querschnitt der Bevölkerung im Alter von 18 bis 75 Jahren dar, die oft mehrfach Blut spenden aus intrinsischer Motivation und für eine solche besondere Datenspende sicher zu begeistern sind. Ein möglicher resultierender "Seroprävalenz- oder Immunitätsmonitor" wäre auf Nachhaltigkeit hin anzulegen, nicht zuletzt, da nicht erwartbar ist, mit einem möglichen Ende der aktuellen Corona Pandemie dem "pandemischen Zeitalter" entwachsen zu sein, im Gegenteil.

PD Dr. med. Thomas Zeiler | Ärztlicher Geschäftsführer DRK-Blutspendedienst West

Prof. Dr. Stefan Heinemann

Die Blutspende des DRK ist gemeinnützig und in einer in Deutschland einmaligen Breite organisiert und verfügbar. Der Schritt von der Blut- zur ergänzenden Datenspende entspricht dem ethischen Grundanliegen der Spende um letztlich Leben zu retten - neben die systemrelevante Versorgung mit Blutpräparaten wird die Datenversorgung treten. Eine Entwicklung, die insbesondere als Datenspende vom Gesetzgeber wie auch vielen ethischen Beratungsgremien wie dem Deutschen Ethikrat unterstützt wird - unter klaren Datenschutzvorgaben. Die digitale Transformation von Medizin und Gesundheitswirtschaft ist gerade in Pandemiezeiten entscheidend.

Prof. Dr. phil. Stefan Heinemann | FOM Hochschule/Universitätsmedizin Essen Ökonomie und Ethik der digitalen Medizin und Gesundheitswirtschaft

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